Montag, 15. Januar 2024
14.01.24
Sonntag. Vor fünf wach und aufgestanden. Graue Nacht ohne Gefühl der Erholung.

Heute gehe ich alleine zu dem Ausflug, der zu zweit geplant war. Ein bisschen macht es mir zu schaffen, dass ich nun alleine pünktlich dort ankommen muss, den Bus bekommen, den Weg finden, dort alle begrüßen. Alles das, was viel leichter war, mit S. an meiner Seite. Neben ihr bin ich untergegangen, es war aber auch ein gutes Versteck.

7:35 Uhr, ich habe Leerlauf. Der lange Blogeintrag von gestern ist fertig, was mache ich mit dem Rest des Morgens, bis ich los muss? Früher hätte ich ein Spiel gespielt, bis S. aufgewacht wäre und wir gemeinsam gefrühstückt hätten. Mir ist kalt. Ich mache alle Fenster auf Kipp, damit die Heizung anspringt.

Kurz in WoW Retail reingeschaut, bin überrascht, wie sich die Optik verändert hat in den letzten 5 Jahren. Ein leichter Kribbel, mich da wieder reinzufinden. Sachen sammeln, sich verbessern, schön befriedigend und berechenbar. Aber ich habe nicht genug freie Kapazität, um mir die Mechaniken usw. anzueignen.

Ich imprägniere die neuen Schuhe, nehme dafür extra eine Maske mit auf den Balkon und vergesse dann sie anzuziehen, atme dann doch den Gestank des Imprägniersprays ein.

Zwischendurch plötzlich ein Moment starker Angst davor, den Rest meines Lebens ohne S. zu verbringen. Reue, Scham, das Gefühl, mich furchtbar blamiert zu haben. All die unverarbeiteten Altlasten, Traumata, die mich zu einer unangenehmen (so glaube ich) Partnerin gemacht haben. Zu einer, die erstmal mit sich selbst klar kommen muss.

Auf der Couch in Instagram herumgescollt und der Algorithmus hat natürlich längst gemerkt, was Sache ist und zeigt mit einen Trauma Healing Clip nach dem nächsten. Manche finde ich wirklich gut und sehr passend für meine Situation, ich weine ein bisschen.

Dann sitze ich in meiner Küche und nehme ihre Abwesenheit wahr. Es fehlt Leben, Geräusch und irgendwie auch Licht. Ihre Sicherheit und Fröhlichkeit. Mir fehlt die Orientierung an ihr. Ich habe mich immer an ihr orientiert und konnte doch so vieles nicht mitmachen. Ständiges Versagen.

Alleine stehen, alleine gehen. Klingt wie ein kitschiger Schlager aus den späten 70ern.

Vor dem Losgehen habe ich Herzklopfen aber nicht vor Spannung sondern Anspannung. Auf dem Weg zum Bus bricht diese Anspannung in nervösem Herumgebrassel mit Schal, Handschuhe, Regenschirm durch. Ich packe den Schirm wieder weg, zu unbequem und marschiere durch den Nieselregen zur Bushaltestelle. Vorfreude ist was anderes. Warum habe ich den Termin nicht abgesagt? Weil ich gerne im Wald bin, so. Ich mach das jetzt alleine.

Das Waldbaden ist aufgrund des Wetters tatsächlich eine feuchte Angelegenheit. Im Nieselregen auf einem nassen Baumstamm sitzen, Vorstellungsrunde. Alle sind nur etwa halb so alt wie ich. Wenn ich rede, lache ich viel, fühle mich aber weit weg von mir selbst.

Es ist kalt und vor allem der Nieselschneeregen macht es ungemütlich aber ich friere nicht, außer im Gesicht. Die Schuhe bewähren sich, ebenso die lange Unterhose und die dicken Handschuhe. Der langsame Fuchsgang ist schwierig für mich wegen Gleichgewichtssinn. Wenn ich demnächst eine Gruppe Menschen in Zeitlupe durch den Wald staksen sehe, weiß ich wenigstens Bescheid. Ach ja, der Fuchsgang, Waldbaden, alles klar.

Ich mache, vermutlich entgegen jedem Achtsamkeitsprinzip, viele Fotos von Mosen und Baumstämmen. S. hat die bessere Kamera, das bessere Auge und mehr Übung und hat unsere Ausflüge immer sehr schön fotografiert. Jetzt muss ich es selber machen, wenn ich eine Erinnerung festhalten bzw. teilen möchte.

Es ist schön, im Wald zu sein. Allein dafür hat es sich gelohnt. Und der Tee aus selbst gesammelten Fichtennadelzweigen war auch erstaunlich lecker und hat mir Lust auf ein Kiefernbad gemacht, muss mal demnächst im Drogeriemarkt danach schauen, bevor der Winter vorbei ist.

Vor der Vertrauensübung (mit Augenbinde durch den Wald führen lassen) schrecke ich zurück. So weit bin ich noch nicht, nicht mit Fremden. Mit S. hätte ich es gemacht, denke ich. Nachdem ich den Kopf geschüttelt habe, höre ich die übliche unfreundliche Stimme in meinem Kopf. "Ja klar, wie üblich die Außenseiterin, die sich nicht traut, die nie mitmacht." Ich versuche, eine Gegenstimme zu sein. Es ist ok, auf meine Grenzen zu achten. Ein schales Gefühl bleibt trotzdem, ein negativer Nachklang. Es fällt eine Klappe und die Gruppe und ich sind endgültig getrennt voneinander, ich gehöre endgültig nicht dazu. Ein altbekannter Mechanismus bei mir, ungut, selbstverletzend, den ich mir bald mal genauer anschauen muss.

Nach 5,5 Stunden Kälte und immer wieder Nieselregen ist es fast unwirklich, als ich meine Wohnungstür wieder aufschließe. Aha, mein Zuhause.

Ich lasse mir ein heißes Bad ein und suche mich nach Zecken ab. Was mache ich, wenn eine da ist, wo ich nicht drankomme? Alles kacke alleine. Finde zu meiner Erleichterung keine.

Später fühle ich wieder die Fremdheit meiner Wohnung, die eigentlich schon lange, bevor ich S. kennengelernt habe, mein Zuhause war. Aber nun fehlt S. hier, alles scheint auf ihre Rückkehr zu warten.

Die übliche Routine: Abendessen, aufräumen, im Fernsehen alles uninteressant. Ich teile Fotos vom Wald auf der Platform, auf der ich niemand kenne, wo ich aber die meisten Erinnerungen festgehalten habe (im Vergleich zu anderen Social Media Dingern). Nach kurzem Überlegen dann auch als Status in WhatsApp. Ich finde die Fotos schön und möchte, dass sie angeschaut werden.

Gegen 21:30 Uhr mache ich das Licht aus.

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