Montag, 18. November 2019
Bodenberührung
Nach einer Phase des Sinkens, Fallens, des Kontrollverlusts, kommt irgendwann die Bodenberührung.
Kein harter Aufprall diesmal, obwohl der Fall so lang gedauert hat.

Ich kann mich umgucken, kann mich etwas bewegen. Schwerfällig, wie ein Tiefseetaucher mit Bleischuhen, der durch die dicke Fensterscheibe seines Helms die unbekannten Wesen sieht, auf die sonst kein Licht fällt.

So lange Zeit fühle ich mich nun wieder hoffnungslos, schwer, sinkend, trudelnd, allein. Nicht bei mir.

Ich hoffe, dieses Gefühl der Bodenberührung stellt sich nicht nur als kleiner Vorsprung heraus, hinter dem es weiter bergab geht. Ich hoffe, ich kann eine Weile bleiben und gucken.

Mich sammeln. Wieder einsammeln.

Wieder auftauchen. Hoffentlich. Irgendwann.

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Freitag, 1. Februar 2019
Freitag, 01.02.2019
Gestern am späten Abend hat der Erdgeschossmann den Notarzt gerufen. Das macht er ab und zu. Ich glaube, er braucht dann Aufmerksamkeit und vielleicht hat er auch gehofft, auf diese Weise eine externe Rechtfertigung für seine Faulheit zu bekommen. Die Sanitäter haben mit ihm geredet und sind dann wieder gefahren. Er hat danach noch lange telefoniert oder mit sich selbst geredet, so genau weiss ich das nie. Er ist ein Alkoholiker, der aber seit einem Jahr keine dauerbetrunkenen, lauten Phasen mehr hatte.

Über Nacht hat es wieder ein bisschen geschneit. Ich habe heute Morgen schlechte Laune bekommen bei der Vorstellung, wieder schippen zu müssen. Eine Viertelstunde bevor ich los musste, habe ich vorab den Müll weggebracht um zu schauen, wie es aussieht. Es war nur wenig Schnee und es schien schon zu tauen, also habe ich beschlossen, nicht zu schippen.

Als ich dann losging, stand der Erdgeschosssmann fluchend in der Haustür. Beim Vorbeigehen wünschte er mir einen schönen Tag und murmelte, dass er bei der Verwaltung angerufen hat und die ihm gesagt haben, dass ich Recht habe. Daraufhin habe ich gesagt, dass er das bisschen Schnee schon schaffen wird. Er sagte, er hofft es. Ich glaube nicht, dass er sich viel Mühe geben wird.

Vor der Arbeit bin ich zum Amt gefahren und habe einen neuen Reisepass beantragt. Für die Kapverden benötigt man einen gültigen Reisepass und meiner ist seit 2001 abgelaufen. In einem Fotoautomat im Rathaus konnte ich die für den neuen Pass benötigten biometrischen Passbilder machen lassen und in der Meldehalle wurden die Fingerabdrücke meines rechten und linken Zeigefingers eingescannt. Es dauert ca. 4 Wochen, bis der Pass fertig ist. Ich hoffe, er wird früher fertig. Ich werde nervös bei dem Gedanken, ihn erst in der Woche vor dem Abflug abholen zu können.

Meiner Freundin ist eingefallen, dass wir am Tag des Abflugs eigentlich mit einigen ihrer Freunde zu einem Fußballspiel gehen wollten (sie hatte auch schon die Karten dafür gekauft). Sie hatte gestern ein sehr schlechtes Gewissen deswegen, weil sie diesen Ausflug dem Sohn eines Freundes fest versprochen hatte. Ich habe auch nicht mehr an den Termin gedacht aber ich bin auch nicht traurig deswegen. Es wäre mein erster Besuch eines Fußballspiels gewesen aber ich habe mir nicht viel davon versprochen. Ich stelle mir das sehr laut und etwas langweilig vor.

Heute Abend gehen wir mit Freundinnen von ihr essen, die ich bis jetzt noch nicht kenne. Ich bin nervös weil mir mein Niemandsein im Beisein von Fremden immer besonders unangenehm ist. Noch dazu habe ich keine bequeme Hose mehr, die mir passt. Ich freue mich nicht sehr auf den Termin aber ein bisschen schon.

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Donnerstag, 31. Januar 2019
Donnerstag, 31.01.2019
Es hat stark geschneit seit gestern und wegen der kalten Temperatur ist der Schnee sogar liegen geblieben. Das sieht sehr schön aus, bedeutet aber auch Rutschgefahr, was mir Angst macht. Meine Freundin hat heute bei mir übernachtet und ist vor mir aus dem Haus gegangen, sie hat mich netterweise von unten angerufen und gewarnt, dass die Treppe glatt ist. Sie weiß, dass ich Angst vor Glätte habe.

Ich habe dann überlegt, was ich machen soll. Erst ohne Jacke herunter und die Treppe streuen? Und dann gleich Schnee schippen? Laut Mietvertrag ist der Erdgeschossbewohner für die Schneeräumung zuständig, allerdings macht er es meistens nicht. Der alte Mann von oben macht es oft, manchmal mit dem Erdgeschossmann zusammen, manchmal alleine. Als Geräusche aus den Wohnungen über und unter mir zu hören waren, habe ich gehofft, dass jemand anders schippt.

Schließlich habe ich mich dann für das Offensichtliche entschieden und bin herunter gegangen und habe die Treppe bestreut.

Als ich zurück aus dem Keller kam, stand der Erdgeschossmann vor der Kellertür und wollte, dass ich mit ihm zusammen den Schnee schaufele. Ich habe sehr unfreundlich gesagt, dass ich das schon mache weil er es ja sowieso nicht macht. Das war keine gute Reaktion aber der Mann verursacht sehr negative Gefühle bei mir. Ich kann ihn kaum angucken und wende mich auch innerlich ab und drücke dann alles um mich abweisend weg. Ich finde den Mann abstoßend. Ich will nichts mit ihm zusammen machen. Schon gar nicht etwas, dass er sehr gut allein machen kann und sollte. Ich habe ihm dann gesagt, dass er dafür zuständig ist, den Schnee zu schippen. Er sagte, seine Mutter hat gesagt, dass stimmt nicht und es wären alle im Haus dafür zuständig. Das stimmt aber nur halb, denn der Rest des Hauses muss nur übernehmen, wenn das Erdgeschoss verhindert ist und er ist ja offensichtlich nicht verreist und er ist auch nicht gebrechlich.

Da stehe ich also morgens um 7 im Hausflur und ein über 50jähriger grauhaariger Mann sagt zu mir, seine Mutter hat gesagt, er muss nicht Schneeschippen. Mir war aber nicht nach lachen zumute sondern ich wollte weg aus der Situation, weg von dem abstoßenden Mann und ich war verärgert, weil mein Zeitplan durcheinander kommt wegen des Schnees. Ich habe ihm nochmal gesagt, dass ich das mache und er soll mir einfach aus dem Weg gehen. Dann hat er noch gesagt, dass er mit der Schippe nicht zurecht kommt und es mit dem Besen machen will. Das ist so ein kleiner abgewetzter Plastikbesen, völlig nutzlos bei ca. 15 cm Schnee mit festgefrorenen Resten von gestern darunter. Er sagte dann, der Verwalter weiß Bescheid, dass er nicht schippen muss. Ich habe daraufhin gesagt OK, dann kann ich den Verwalter ja mal danach fragen.

Ich bin dann raus gegangen und habe angefangen zu schippen und er kam mir hinterher und fragte, ob ich will, dass er seine Wohnung verliert. Vielleicht hatte er Angst, dass ich wirklich den Verwalter anspreche (was ich gar nicht vorhatte). Aber er wollte dann plötzlich selber schaufeln, sogar mit der schweren Metallschippe. Ich habe noch ein paar Meter geschippt und als er dann noch mal kam und sagte, ich soll ihm die Schaufel geben, habe ich das gemacht und bin wieder in meine Wohnung gegangen, habe meine Jacke angezogen, meinen Rücksack genommen und bin los zur Arbeit ohne noch mal mit ihm zu reden. Er stand in der am weitesten vom Gehweg entfernten Ecke und redete mit sich selbst.

Der Weg zur Arbeit war schön winterlich und fast nirgendwo glatt. Ich war aber noch aufgewühlt und auch nervös.

In der Arbeit habe ich einen Urlaubszettel ausgefüllt und abgegeben. Ich kann es noch nicht ganz glauben, dass ich in 6 Wochen auf die Kapverden fliege. Das klingt so abenteuerlich!

Nachtrag zum Schneeschippen: Als ich von der Arbeit kam, musste ich dann doch noch eine Stunde lang Schnee schaufeln. Der Mann hatte nach einen Meter aufgehört. Inzwischen war alles festgetreten und ich musste den Schnee immer erst mit der Kante zerteilen, damit ich ihn überhaupt weg bekam. Das war sehr anstrengend. Jetzt ist es spät und ich habe Hunger und muss erst noch kochen. Aber das ist alles nicht schlimm.

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