Montag, 1. Januar 2024
Schwere
Es ist alles immer nur Überleben, Angst, Schuld, Verlust, Rückzug.
Alles immer grau, farblos, schwer.
Es muss doch was geben, das mir Spaß macht. Das leicht ist.
Mal freihändig gehen, mal tanzen als ob mein Körper mir gehört. Mal keine Angst, kein Schwindelgefühl, keine Orientierungslosigkeit. Mal loslassen, vertrauen.
Mal nicht das Gefühl haben, alles falsch zu machen.
Mal auf mich vertrauen.

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31.12.23
Sonntag. Sylvester. Tag 4 nach der Trennung.

In der Nacht träume ich unangenehm.

Zunächst muss ich einen Platz für meine Matratze, auf der ich schlafen werde, in einem sehr engen Keller finden. Vom unteren Teil der Wände bröckelt aufgequollener weißer Putz, der Putz hängt auch an den vielen Spinnweben dort. Spinnen sind keine da. Nur ich, die ich meine Matratze durch den engen Keller ziehe, aus der Suche nach einem Schlafplatz. Die Matratze schleift an den Wänden des Gangs durch das Gemisch aus angebröckeltem Putz und alten Spinnweben.

Dann drücke ich eine Taste auf meinem Handy und es geht eine Glücksspielseite auf. Ein buntes Glücksrad dreht sich und mir wird klar, dass ich einen Malware Link angeklickt habe. Das Handy wurde gehackt. Ich drücke weiter Tasten und bei jedem Klick schrumpft das Handy, wird schmaler. Ich weiß nicht, wie ich das Glücksrad wegbekomme. Alle anderen Funktionen sind weg, verschlüsselt, verschwunden. Ich klicke verzweifelt auf dem Handy herum.

Ich werde wach, trinke Wasser. Schlafe wieder ein.

Ich gehe durch einen größeren Gang. Dass es ein Gang ist, erkennt man nur an den Gerippen von Metallgerüsten, die alle paar Meter kommen. Der Gang ist in einer riesigen Fabrikhalle. Alles ist über und über behängt mit kleinen Papierfetzen, es rieselt Papierfetzen, alles ist voll: Fussboden, die Metallgerippe, die Fabrikwände um uns herum, die sich ausweiten zu einer kriegsartigen Landschaft voller Wohnblockgerippe, alles behängt mit Papier. Ich gehe mit mehreren Menschen diesen Gang entlang. In einem Haus sehen wir andere Menschen. Es fängt an zu brennen. Die Menschen müssen da raus. Es brennt jetzt überall, kleine Brandherde überall in den Hausgerippen. Ich habe keine Angst zu verbrennen aber die Stimmung ist dringlich.

4:55 Uhr aufgewacht weil draußen auf der Straße zwei Männer diskutieren. Nicht unfreundlich aber energisch. Ich verstehe nicht genug um zu erkennen, worum es geht. Ich bin froh, dass ich wach bin. Komischerweise fand ich den Handytraum am unangenehmsten. Vielleicht weil ich da selbst schuld war. Hätte ja die Taste nicht drücken müssen.

Kaffee gekocht, Palia gespielt, gebloggt.

Wäsche abgehängt und weggeräumt. Dabei erinnere ich mich an unsere Urlaube. Freudige Erwartung, Reisefieber, Zweisamkeit. Im Urlaub war das Zusammensein immer vollkommen ok. Ich stelle mir vor, alleine in Urlaub zu fahren. Ich kann das auch alleine. Vielleicht ist es dann genauso schön. Ich frage mich, welche Art von Trauerphase das ist. Ich kaufe mir das ja selbst nicht ab. Klar kannst du das, Naivchen. Aber es ist dann was anderes. Du bist dann alleine.

Ich habe Hunger, hole mir einen der Joghurts aus dem Kühlschrank, die S. so gerne mag und deshalb für die Feiertage in Mengen gekauft hatte. Mir wird nach zwei Löffeln leicht schlecht. Ich hätte nicht gedacht, dass man Hunger und Übelkeit gleichzeitig verspüren kann. Aber es geht, wenn der Körper Hunger signalisiert und das Selbstgefühl oder was auch immer auf red alert steht und die Energie von den lebenserhaltenden Systemen auf die Schutzschilde übertragen wurde.

Die Arbeitsplatte links vom Herd geputzt, wo die Flaschen mit Essigen und Ölen stehen und auch die Flasche billiger Rotwein, den S. so gerne trinkt. Ich räume die Flasche weg.

Um 9:30 Uhr schnell zur Packstation. Um diese Zeit wird noch nicht geböllert, da traue ich mich noch raus. Ich bin nicht schussfest.

Meine Gedanken kreisen um die Termine, die wir noch zusammen geplant haben. Wer wo alleine hingeht, was abgesagt werden muss. Wir müssen noch ein paar restliche Sachen austauschen, nichts Wichtiges aber ich habe das Gefühl, dass ich diesen Abschluss brauche. Oder ist das ein Aufschub? Vielleicht schicke ich ihr einfach ein Paket. Ich will sie nicht sehen. Das tut so weh und ich würde ihre Hand halten wollen.

Immer wieder Gefühle wie Paukenschläge. Die Leere, ihre Abwesenheit. Verlust, Lücke, Alleinsein. Einsamkeit. Erkenntnis, dass es wirklich vorbei ist. S. ist vorbei. Der Beginn einer neuen Ära. Der Schock läßt nach und die Zukunft scheint eine graue, einsame Masse zu sein, in der ich mich nicht sehen kann.

Auch heute halte ich das alles nur bis Mittag aus und verkrieche mich dann hinter mein Notebook, lenke mich mit Netflix ab. Rauche auf dem Balkon, zuviel. Schaue ständig auf mein Handy. Weine. Wir wünschen uns keinen guten Rutsch.

21:30 Uhr, ich versuche zu schlafen aber mein Herz böllert im Takt mit den Idioten draußen. Ich habe keine Worte. Mein Gehirn produziert Traumbilder während ich noch wach bin. Ich schlafe kurz ein, werde wieder wach. Es wird schon viel geböllert.

Um 23:59 Uhr werde ich wach, wie erwartet. Das Geböllere hat volle Stärke erreicht, es fehlen nur noch die Kirchenglocken, die um 0:00 einsetzen. Ich setze mich auf die Couch, lasse die Balkontür zu, da die schwerhörige Katze neben der Tür schläft. Nach ein paar Minuten wird sie doch wach und ängstigt sich vor den Lichtern am Nachthimmel. Sie verschwindet unterm Bett. Ich sitze auf der Couch und tue mir leid.

0:10 Uhr kommt eine Nachricht. "Ich wünsche dir ein frohes und gutes neues Jahr! Alles Liebe für dich!" Es macht mich fertig, wie abgeklärt das klingt. Wir sind nicht mehr zusammen. Ich brauche 10 Minuten um zu antworten. Ich habe kein Recht mehr auf Gefühle. Ich werde nie mehr ihre Hand halten. Aber zumindest heute Nacht weiß ich, dass es ihr genauso geht wie mir. "Ja, das wünsche ich dir auch, S."

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